`
`Die Grundbedürfnisse des Säuglings und
`
`deren medizinische Aspekte
`
`- dargestellt und charakterisiert am Jungentypus Tragling -
`
`Evelin Kirkilionis
`
`Freiburg
`
`und anatomische Ausstattung ein An
`
`klammern an der Mutter mit Händen
`
`und Füßen nicht mehr erlaubt; zudem
`
`finden sich beim Menschen ja nur noch
`
`1. Einleitung
`
`Der Begriff des Traglings mag zunächst
`
`irritieren und der Systematisierbegeiste
`
`rung der Biologen zugeschrieben werden.
`
`Doch beschreibt dieser Begriff charak
`
`teristische Eigenschaften eines Neuge
`
`borenen, die sich als Konsequenz seiner
`
`stammesgeschichtlichen Entwicklung
`
`ergaben. Der Jungentypus Tragling wird
`
`den Nesthockern und Nestflüchtern ge
`
`genübergestellt, und die Auseinander
`
`setzung, zu welchem dieser Jungentypen
`
`der menschliche Säugling zählt, ist ein
`
`Beispiel für Wissenschaftsgeschichte,
`
`erwähnt seien hier Portmann (1969) und
`
`Hassenstein (1970).
`
`Zu den Traglingen zählen die Jungen
`
`verschiedenster Tierarten, selbstverständ
`
`lich auch die unserer nächsten Verwand
`
`ten, der Menschenaffen (Abb. 1). Sie
`
`sind ein Beispiel für aktive Traglinge,
`
`die sich aus eigener Kraft im Haar der
`
`Rudimente seiner ursprünglichen Be
`
`haarung. Ist diese Haltung, ähnlich wie
`
`der Greifreflex, ein funktionslos gewor
`
`denes Relikt, das an die stammesge
`
`schichtliche Zugehörigkeit zum Jungen
`
`typus Tragling lediglich erinnert? Oder
`
`hat diese Haltung auch heute noch eine
`
`Funktion?
`
`Zur Lösung dieser Frage kann ein kur
`
`zer theoretischer Exkurs in unsere Stam
`
`mesgeschichte beitragen.
`
`2. Eine stammes
`
`geschichtlicher Rückblick
`
`Die ältesten zu den Menschen gezähl
`
`ten Funde weisen bereits auf eine aus
`
`gereifte bipede Fortbewegungsweise hin.
`
`sowohl der aufrechte Gang als auch der
`
`Lauffuß waren bereits entwickelt. Die
`
`Umwandlungen, die mit der Anpassung
`
`an die aufrechte Körperhaltung einher
`
`gingen, begannen vermutlich vor 3 bis
`
`Abb. 1: Neugeborener Gorilla
`
`(Lang-Goma, 1961)
`
`Mutter festzuhalten vermögen. Die Ori
`
`entierung von Händen und Füßen und
`
`die Stellung der Extremitäten sind an
`
`diese Aufgabe angepaßt, wie die erste
`
`Abbildung verdeutlichen soll. In dieser
`
`Haltung klammern sich die Jungen im
`
`Bauchhaar der Mutter fest (Abb. 2).
`
`Die Jungtiere unserer nächsten Ver
`
`wandten sind Traglinge, und dies traf
`
`sicherlich ebenfalls für die direkten Vor
`
`fahren des Menschen zu. In Abb. 3 ist
`
`ein Säugling in einer dem jungen Goril
`
`la des ersten Bildes sehr ähnlichen Hal
`
`tung zu sehen. Diese angehockte und
`
`leicht gespreizte Beinstellung nehmen
`
`vor allem ältere Säuglinge minutenlang
`
`ein. besonders wenn sie intensiv einen
`
`Gegenstand erforschen, wie die Abbil
`
`dung 4 zeigt. Zwei etwa 6 Monate alte
`
`Kinder blieben sogar 20 bzw. 30 Minu
`
`ten nahezu unverändert in dieser Hal
`
`tung (Kirkilionis, 1989). Welchen Sinn
`
`4 Millionen Jahren und waren vor etwa
`
`2 Millionen Jahren abgeschlossen (Camp
`
`bell, 1979; Lovejoy, 1989). Auch wenn
`
`nach wie vor die zeitliche Einordnung
`
`zur Diskussion steht, die Menschheits
`
`geschichte zeichnet sich von Anfang an
`
`durch eine bipede Lebensweise aus. Eine
`
`auf den ersten Blick problematische
`
`Entwicklungsrichtung für einen Trag
`
`ling. der sich bis dahin mit Händen und
`
`Füßen anklammerte. Denn durch die
`
`Umwandlung vom Greif-Lauffuß zum
`
`reinen Lauffuß hätte das Neugeborene
`
`- bei unveränderter Situation - keinen
`
`sicheren Halt mehr im noch vorhande
`
`nen Bauchhaar der Mutter gefunden (die
`
`Körperbehaarung wurde wahrscheinlich
`
`bedeutend später reduziert. Petri. 1987).
`
`da in diesem Fall die Hände nahezu
`
`allein die Haltearbeit zu leisten gehabt
`
`hätten.
`
`hat diese Stellung für den menschlichen
`
`Abb. 2: Javaneraffenweibchen
`
`Denkbar wäre, daß die Mutter im Ver
`
`Säugling heute, da seine physiologische
`
`mit Jungem
`
`lauf dieser Umwandlung des Fußes gänz-
`
`notabene medici 2, 1997
`
`61
`
`Petitioner Ex. 1072 Page 1
`
`
`
`Die Grundbedürfnisse des Säuglings und deren medizinische Aspekte
`
`lieh die Tragearbeit übernahm, so wie
`
`es bei den Menschenaffen in unter
`
`schiedlicher zeitlicher Ausdehnung di
`
`rekt nach der Geburt zu beobachten ist.
`
`Die Körper- und Gewichtsrelation von
`
`Mutter und Kind zu Beginn der Stam
`
`mesgeschichte des Menschen hätte dies
`
`wahrscheinlich zugelassen. Der mensch
`
`liche Säugling wäre somit zum passi
`
`ven Tragling geworden, ein späterer
`Übergang zum Nesthocker wäre eben
`falls denkbar, als der Mensch seßhaft
`
`wurde, begleitet von entsprechenden
`
`Verhaltensänderungen.
`
`Oder aber der Säugling mußte mit den
`
`sich allmählich verändernden Bedingun
`
`gen „Schritt halten", um so den Trag-
`
`lingsstatus beibehalten zu können. Wie
`
`dies dem menschlichen Säugling mög
`
`lich war - wobei nur im geringem Maße
`
`Anpassungen vonnöten waren - soll im
`
`folgenden näher ausgeführt werden, eben
`
`falls die Verhaltensanpassungen, die nach
`
`wie vor einen menschlichen Tragling
`
`charakterisieren. Zunächst möchte ich
`
`aber einige anatomische Veränderungen
`
`während der stammesgeschichtlichen
`
`Abb. 3: Spreiz-Anhock-Haltung eines
`
`3 Monate alten Kindes
`
`räum vor seinem Rumpf nutzen, ein ef
`
`fektives Ausschreiten wie beim Men
`
`schen ist nicht möglich (Abb. 5).
`
`Mit der aufrechten, bipeden Fortbewe
`
`gungsweise war eine veränderte Orien
`
`tierung der Hüftgelenke und damit des
`
`Beckens im Räume verbunden. Hiermit
`verknüpft sich auch die im Laufe der
`
`Stammesgeschichte herausbildende cha
`
`rakteristische Form der menschlichen
`
`Wirbelsäule: Einmal der starke Knick
`
`zwischen Lenden- und Kreuzbeinwirbel
`
`bereich, das sogenannte Promontorium.
`
`und zum anderen die typische S-Form
`
`der Wirbelsäule.
`
`Die mit der bipeden Lebensweise des
`
`Menschen einhergehenden anatomischen
`
`Veränderungen betrafen den gesamten
`
`Hüftbereich. In Abb. 6 sind die Becken
`
`eines Schimpansen, eines der Vorfahren
`
`des Menschen - der Australopithecinen
`
`- bzw. eines rezenten Menschen zur
`
`Verdeutlichung gegenübergestellt. Das
`
`Becken des Australopithecus ist flacher
`
`und breiter als das des Schimpansen,
`
`die Beckenschaufel wurde im Laufe der
`
`Evolution also ausladender und zog sich
`
`weit nach vorn. Die Ausprägung der
`
`Muskulatur veränderte sich ebenfalls
`
`weitreichend. Dies führte bei den frü
`
`hen Menschen wahrscheinlich insge
`
`samt zu einem Habitus, der dem des
`
`heutigen Menschen bereits recht ähn
`
`lich sah, wahrscheinlich aber auch zu
`
`einem ausgeprägten Hüft-Taillen-Be-
`
`reich, vielleicht sogar stärker als bei
`
`uns heute.
`
`Entwicklung des Menschen voranstel
`
`len, die sicherlich keinen Anspruch auf
`
`Vollständigkeit haben und die Vorgän
`ge nur punktuell aufgreifen, vielmehr
`
`sollen sie aber die späteren Gedanken
`
`gänge vorbereiten und sie verdeutlichen
`
`helfen.
`
`Anatomische Veränderungen -
`
`Aufrechte Körperhaltung
`
`Die für eine aufrechte Fortbewegungs
`
`weise nötigen Veränderungen können
`
`anhand der anatomischen Situation der
`
`Menschenaffen veranschaulicht werden.
`
`Menschenaffen, die sich kurze Strek-
`
`ken ohne Zuhilfenahme der Arme fort
`
`bewegen, haben bei einer relativ auf
`
`rechten Oberkörperhaltung einen merk
`
`würdig anmutenden Gang. Die Kniege
`
`lenke bleiben angewinkelt; auch in den
`
`Hüftgelenken ist keine vollständige Strek-
`
`kung möglich, sie bleiben nach vorn
`
`orientiert, so daß die Oberschenkel nicht
`
`über die Körpersenkrechte hinaus nach
`
`Abb. 4: 8 Monate altes Mädchen beim
`
`Erkunden eines Gegenstandes
`
`Abb. 5: Wirbelsäulen- und
`
`Beckenstellung (nach Kummer
`
`in Osche, 1975)
`
`a) Schimpanse
`
`hinten geführt werden können. Dies ver
`
`im Vierfüßergang
`
`hindert die veränderte Stellung des Bek-
`
`b) Schimpanse in
`
`kens infolge der senkrechten Rumpf
`
`haltung. Ein Schimpanse oder Gorilla
`
`aufgerichteter
`
`Körperhaltung
`
`kann in dieser Situation mit seinen Ober
`
`c) Mensch in aufrechter
`
`schenkeln nur einen Bewegungsspiel-
`
`Körperhaltung
`
`B
`
`62
`
`notabene medici 2, 1997
`
`Petitioner Ex. 1072 Page 2
`
`
`
`Die Grundbedürfnisse des Säuglings und deren medizinische Aspekte
`
`seitliche
`
`Ansicht
`
`Vorder
`
`ansicht
`
`Aufsicht
`
`Schimpanse
`
`Australopithecus
`
`africanus
`
`Rezenter Mensch
`
`Abb. 6: Beckenansichten eines Schimpansen, eines Australopithecinen und eines
`
`rezenten Menschen (nach Campell, 1979 und Osche, 1995)
`
`Bedeutung der anatomischen
`
`aufrechten Rumpfhaltung der Mutter
`
`Veränderungen für den Tragling
`
`zufolge war der Kraftaufwand, um sich
`
`Diese veränderte anatomische Situation
`
`unserer Vorfahren, mit der sich Schritt
`
`für Schritt vollziehenden Entwicklung
`
`zu einem reinen Lauffuß bedeutete für
`
`das Neugeborene auch eine sich allmäh
`
`lich vermindernde Greiffähigkeit und
`
`im seitlichen Hüftsitz anzuklammern,
`
`gleichmäßig auf die rechten und linken
`
`Extremitäten verteilt. Im Gegensatz zu
`
`einer asymmetrischen Belastung der
`
`Extremitäten der beiden Körperhälften
`
`beim seitlichen Anklammern an einem
`
`nach vorn geneigten Oberkörper der tra-
`
`genden Mutter, wie es im Falle der Men
`schenaffen gegeben wäre, denn die sich
`jeweils im Rückenfell des Muttertiers
`
`anklammernde Vorder- und Hinterextre-
`
`mität müßte bevorzugt das Gewicht tra
`
`gen.
`
`Durch die Reduktion des Haarkleides
`
`während eines bedeutend späteren Zeit
`
`raums verlor der menschliche Tragling
`in seiner seitlichen Position schließlich
`
`die Möglichkeit, sich mit den Händen
`
`anzuklammern - die Mutter mußte dies
`
`durch Stützen des Kindes im Rücken
`
`bereich ausgleichen. Eine derartige Hil
`festellung ist auch bei vielen Affenarten
`
`während der ersten Lebenstage oder
`
`-wochen üblich, insbesondere bei Men
`schenaffen; es ist daher anzunehmen,
`
`daß dies auch bei unseren Vorfahren ein
`
`gängiges Handling war.
`
`Mit dieser theoretischen Vorstellung von
`
`den Geschehnissen sollte verdeutlicht
`
`werden, daß der menschliche Säugling
`aufgrund unserer besonderen stammes
`
`geschichtlichen Entwicklung seinen Trag-
`
`lingsstatus nicht 'aufgeben' mußte. Durch
`
`die im folgenden dargestellten Verhaltens
`
`besonderheiten und anatomischen Eigen
`arten kann bestätigt werden, daß er dies
`
`auch keineswegs tat.
`
`somit verringerte Möglichkeit, sich mit
`
`den Füßen im Fell der Mutter festzuhal
`
`ten. Bei nahezu unveränderter Körper
`
`haltung war es dem Tragling jedoch
`
`möglich, sich mit den gesamten Beinen
`
`anzuklammern, sobald er seine Position
`
`am Körper der Mutter zur Seite hin ver
`
`lagerte, d. h. auf der Hüfte saß (Abb. 7).
`
`Durch die ausladende Beckenschaufel,
`
`die sich im Vergleich zu den Bedingun
`
`gen bei Schimpanse oder Gorilla weit
`
`nach vorne zog, und dem damit wahr
`
`scheinlich verbundenen ausgeprägten
`
`Taillen-Hüft-Bereich. waren hierfür gute
`
`Vorbedingungen geschaffen. Durch die
`
`bisher bevorzugte angehockte und ge
`
`spreizte Beinhaltung war der Tragling
`
`der Vorfahren des Menschen gleicher
`
`maßen an einen seitlichen Hüftsitz prä
`
`adaptiert - was stets die wichtigste Vor
`
`aussetzung für Veränderungen während
`
`der Evolution ist - und damit war die be
`
`schriebene Entwicklungsrichtung mög
`
`3. Verhaltensbesonderheiten
`
`des menschlichen Säuglings
`
`Einige Verhaltensweisen des menschli
`
`chen Säuglings werden erst dann ver
`
`ständlich, wenn man von den Grundbe
`
`dürfnissen eines Traglings ausgeht und
`nicht von denen eines Nesthockers.
`
`Ein Säugling, der in einem ruhigen se
`
`paraten Raum zum Schlafen nieder
`
`gelegt wird, ist keineswegs zufrieden;
`dies gilt ebenfalls für den gerade auf
`
`wachenden Säugling, der, falls er auf
`
`seine Kontaktsignale kein Anwesen
`heitszeichen von seinen Eltern erhält,
`
`zu weinen beginnt (Morath. 1977). Das
`
`Zuwendungsbedürfnis und Kontaktsuche
`
`verhalten, das Verlagen nach der An
`
`wesenheitsbestätigung seiner Bezugs
`
`personen erfolgt häufiger, als es den
`Eltern rational verständlich ist. da an
`
`scheinend nichts Beunruhigendes zu
`existieren scheint. Alleinsein und Ruhe
`
`lich.
`
`Abb. 7: Körperhaltung eines 5 Monate
`
`bedeuten aber für einen Tragling eine
`
`Der Hüftsitz war nun auch bezüglich
`
`alten Kindes beim Sitz auf der Hüfte der
`
`lebensbedrohliche Situation, da er von
`
`eines anderen Punktes einfacher: der nun
`
`Mutter
`
`seinen Bezugspersonen, die in stammes-
`
`notabene medici 2, 1997
`
`63
`
`Petitioner Ex. 1072 Page 3
`
`
`
`Die Grundbedürfnisse des Säuglings und deren medizinische Aspekte
`
`Die Spreiz-Anhock-Haltung
`
`satz einer erheblichen Muskelarbeit vor
`
`In Abb. 4 war ein 8 Monate altes Kind
`
`zu sehen, das sich intensiv mit einem
`
`Gegenstand beschäftigt, dabei eine leicht
`
`gespreizte und angehockte Beinhaltung
`
`einnimmt. Würde ein Erwachsener die
`
`se Stellung längere Zeit beibehalten
`
`wollen, setzte dies den bewußten Ein
`
`aus. Säuglinge bleiben in dieser Hal
`tung, die als Spreiz-Anhock-Haltung
`bezeichnet wird, mitunter minutenlang:
`
`die maximal gemessenen Zeiten erreich
`
`ten 20 bis 30 Minuten, während der die
`
`Kinder lediglich 5 bzw. 7mal eines der
`Beine kurz streckten, ohne die Unterla-
`
`geschichtlicher Zeit das Überleben ga
`rantierten, getrennt ist. Eine Umgebung
`
`mit vertrauten Geräuschen, Körperkon
`
`takt oder gar Lageveränderungen ver
`
`mitteln dem Säugling hingegen das Ge
`
`fühl, daß er nicht verlassen wurde, auch
`
`wenn dies nur simuliert wird, wie bei
`
`spielsweise durch eine Wiege.
`
`Auch die Beruhigungswirkung von
`
`Schnullern ist als Anwesenheitssignal
`der Mutter zu bewerten. Der Schnuller
`
`ersetzt die mütterliche Brustwarze. In
`
`vielen Kulturkreisen kann man die Re
`
`aktion beobachten, daß erschrockene
`
`Kinder die Brustwarze der Mutter zwi
`
`schen die Lippen nehmen; auch von
`
`Primatenjungen ist dies bekannt. Die
`
`Entwicklung einer derartigen Reaktion
`
`bzw. Beruhigungswirkung ist nur vor
`
`stellbar, wenn ein Saugen an der Brust
`
`jederzeit problemlos möglich ist. Beim
`
`Tragling. der sich am Körper der Mut
`
`ter in einer face-to-face-Stellung befin
`
`det oder auch im seitlichen Hüftsitz fest
`
`hält, ist dies der Fall.
`
`Die beschriebenen Beispiele sind wahr
`
`scheinlich recht geläufig. Eine weitere
`
`Verhaltensweise, auf die im folgenden
`
`ausführlicher eingegangen werden soll,
`
`steht zudem im direkten Zusammenhang
`
`mit dem Tragen des Säuglings.
`
`Abb. 8: Körperhaltung eines 3 Wochen alten
`
`Abb. 9: Spreiz-Anhock-Reaktion eines 5 Monate alten Kindes beim Betrachten eines
`
`Kindes beim Sitz aufder Hüfte der Mutter
`
`interessanten Gegenstandes
`
`64
`
`notabene medici 2, 1997
`
`Petitioner Ex. 1072 Page 4
`
`
`
`Die Grundbedürfnisse des Säuglings und deren medizinische Aspekte
`
`ge mit den Fersen zu berühren. Meist
`
`Hervorzuheben ist, daß bei den 5 Kin
`
`Hochgehoben- und Getragenwerden steht.
`
`lag die Dauer der Spreiz-Anhock-Hal-
`tung aber im 10-Sekundenbereich. Auf
`
`dern, die zu Beobachtungsbeginn in
`
`Weitere Beobachtungen lassen sogar
`
`Rückenlage die Spreiz-Anhock-Haltung
`
`noch eine präzisere Formulierung hin
`
`fällig aber war. daß diese Haltung gera
`
`nicht einnahmen, die Reaktion durch
`
`sichtlich der Position des Säuglings am
`
`de dann besonders ausdauernd beibe
`
`Hochheben von Anfang an ausgelöst
`
`Körper des Tragenden zu, die Spreiz-
`
`halten wurde, sobald sich die Säuglinge
`intensiv mit einem Gegenstand beschäf
`
`werden konnte.
`Dies deutet an. daß die ursprüngliche Aus
`
`Anhock-Reaktion und -Haltung steht im
`
`Zusammenhang mit dem Sitz auf der
`
`tigten, sei es durch Erkunden mit Hän
`
`lösesituation im Zusammenhang mit dem
`
`Hüfte.
`
`den oder Lippen, sei es durch intensives
`
`Betrachten eines interessanten, auffälli
`
`gen Objektes (Kirkilionis. 1989). Erfor
`
`derte diese Haltung willentlichen Mus
`
`keleinsatz, ist eine derartige Körper
`
`stellung während eines konzentrierten
`
`Spiels oder intensiven Erkundens - ohne
`
`Einbeziehen der Beine in die Aktion -
`
`nicht denkbar, geschweige denn könnte
`
`sie über mehrere Minuten oder gar na
`
`hezu eine halbe Stunde aufrechterhal
`
`ten werden.
`
`Die Spreiz-Anhock-Haltung oder die hier
`
`zu führende Körperbewegung, die Spreiz-
`
`Anhock-Reaktion, ist zu beobachten:
`
`- Einmal, wie bereits beschrieben, wäh
`
`rend das Kind auf dem Rücken liegt
`
`und sich intensiv mit einem Gegen
`
`stand beschäftigt, ihn oral, manuell
`
`oder lediglich optisch erkundet (Bilder
`
`serie 9).
`
`- Zum anderen, wenn ein am Boden
`
`sitzender oder liegender Säugling
`
`hochgehoben und auf dem Arm ge
`
`nommen wird (Bilderserie 10), sobald
`
`er den Bodenkontakt verliert.
`
`Hiermit im engen Zusammenhang steht
`
`die Situation, in der seitens des Kindes
`
`der Wunsch besteht, auf den Arm ge
`
`nommen zu werden. Auch hier nehmen
`
`Säuglinge - vor allem ältere - die Spreiz-
`
`Anhock-Haltung ein, während die Arme
`
`auffordernd, kombiniert mit entspre
`
`chender Mimik und Lautäußerung, dem
`
`Erwachsenen entgegengestreckt werden.
`
`Es sind also zwei grundverschiedene
`
`Ausgangssituationen, während der die
`
`Kinder die Beine zur Spreiz-Anhock-
`
`Haltung anziehen. Einmal im Zusam
`
`menhang mit dem Hochgehoben- und
`
`Getragenwerden; und einmal völlig un
`abhängig davon, während das Kind auf
`
`dem Rücken liegend z. B. spielt.
`
`In der Abb. 11 ist gegenübergestellt, in
`
`welchem Alter die Kinder im Verlaufe
`
`des ersten Lebensjahres die Spreiz-An-
`
`hock-Haltung im Liegen zeigten, und
`
`wann diese Haltung durch Hochheben
`
`Abb. 10: Spreiz-Anhock-Reaktion eines 6 Monate alten Mädchens nach Verlust des
`
`des Säuglings ausgelöst werden konnte.
`
`Bodenkontaktes
`
`nolabene medici 2. 1997
`
`65
`
`Petitioner Ex. 1072 Page 5
`
`
`
`Die Grundbedürfnisse des Säuglings
`
`Im Verlauf des ersten Lebensjahrs lag
`
`der Winkel im Durchschnitt bei 45°
`±4°" (Kirkilionis, 1989,1992). Obwohl
`
`das kleinere Becken der Neugeborenen
`
`eine stärkere Spreizstellung vermuten
`
`ließe, konnten keine altersabhängigen
`signifikanten Unterschiede ermittelt
`
`werden. Es ist anzunehmen, daß die ver
`
`stärkt angewinkelten Oberschenkel und
`das nach oben geneigte Becken:i auch
`den sehr kleinen Säuglingen denselben
`
`Abspreizwinkel erlauben wie den halb-
`
`oder einjährigen Kindern, deren Ober
`
`schenkel dem Körper der Mutter eher in
`
`der Waagerechten anliegen und deren
`
`Becken abgesenkt ist (Abb. 7, 8).
`
`Auf den Grad der Spreizstellung hatte
`
`lediglich ein seitlicher oder mehr nach
`
`vorn verschobener Sitz auf der Hüfte
`
`einen Einfluß. Saßen die Kinder seit
`
`lich, lag der durchschnittliche Wert bei
`
`42°±4°, hatten sie eine mehr nach vorn
`
`verschobene Sitzposition am Körper der
`
`Mutter, lag er bei 46°±4° (p<0,001;
`
`Students T-Test).
`
`Fortsetzung im nächsten Heft
`
`Anschrift der Verfasserin
`
`^^
`
`'
`
`.
`
`.'
`
`■
`
`Spreiz-Anhock-Haltung
`
`~in Rückenlage
`(n = 18)
`
`ausgelöst durch
`
`Hochheben
`
`(n = 16)
`
`.
`
`i
`
`'?
`
`-
`
`'.'
`
`/
`
`ioo
`
`£ 80
`
`s f
`
`. 4
`
`0
`
`2:
`
`■
`
`3
`
`5
`
`7
`
`9
`
`11
`
`ä13
`
`Alter der Kinder in Wochen
`
`Abb. 11: Auftreten der Spreiz-Anhock-Haltung im Verlauf des ersten Lebensjahres
`
`während der Rückenlage und ausgelöst durch Hochheben des Kindes
`
`Die Spreiz-Anhock-Reaktion und -Haltung
`
`Durch die Spreiz-Anhock-Reaktion be
`
`- aktive Vorbereitung und Stabilisierung
`
`reitet der Säugling aktiv den Hüftsitz
`
`des Sitzes auf der Hüfte
`
`In der Bilderserie 10 kann der Bewe
`
`gungsablauf eines Kindes verfolgt wer
`
`den, während es hochgehoben wird und
`
`den Kontakt zum Boden verliert; es
`
`vor, in der leicht gespreizten, stark an
`
`gehockten Beinstellung kann er sich bei
`
`einer seitlich vorgegebenen Position am
`
`Körper des Erwachsenen anklammern,
`
`lediglich unterstützt im Rückenbereich
`
`nimmt eine leicht gespreizte, angehockte
`
`Beinhaltung ein. Wird ein Säugling aus
`
`einer liegenden Position angehoben,
`
`während er die Spreiz-Anhock-Haltung
`
`bereits inne hat, behält das Kind diese
`
`Körperstellung nahezu unverändert auch
`
`während der Schwebephase bei. Soll
`
`das Kind, wie es der Vater in Bilder
`
`serie 10 vorsah, in einer face-to-face
`
`Stellung an den Körper genommen wer
`
`den, ist die Spreiz-Anhock-Haltung un
`
`geeignet. Sie behindert dann vielmehr
`
`einen flüssigen, aufeinander abgestimm
`
`ten Bewegungsablauf von Erwachsenem
`
`und Kind; in diesem Fall stemmt der
`
`Säugling zunächst die Knie gegen den
`
`Oberkörper des Erwachsenen. Erst nach
`
`dem das Kind die Oberschenkel absenk
`
`te, ist die vom Vater gewünschte einan
`
`der zuorientierte Stellung möglich. Die
`
`Spreiz-Anhock-Haltung ist demnach
`
`keine Körperhaltung, die ein Tragen des
`
`Säuglings allgemein begünstigt; viel
`
`mehr stellt die Spreiz-Anhock-Haltung
`
`aufgrund der geringen Spreizstellung
`
`der Oberschenkel eine spezifische An
`
`passung an den Sitz auf der Hüfte dar
`
`(Kirkilionis, 1992, 1994).
`
`(Abb. 8).
`
`Dr. Evelin Kirkilionis
`
`Zum eigenständigen Vorbereiten der
`
`Forschungsgruppe Verhaltensbiologie
`
`Spreiz-Anhock-Haltung und Beibehal
`
`ten während des Hüftsitzes waren alle
`
`16 beobachteten Säuglinge bereits zu
`
`Beobachtungsbeginn in der 3. Lebens
`
`woche fähig. Dies galt auch für die Ein
`
`zelbeobachtungen an 4 Neugeborenen
`
`in der 1. und 2. Lebenswoche.
`
`Der Grad der Hockstellung und die Nei
`
`gung des Beckens während des Hüft
`
`sitzes veränderte sich im Laufe des er
`
`sten Lebensjahres leicht. Mit zunehmen
`
`dem Alter hockten die Säuglinge ihre
`
`Oberschenkel weniger stark an, der Win
`
`kel zwischen Beckeneingangsebene und
`
`Wirbelsäule wurde größer. Auch wenn
`
`hierzu technisch keine exakten Winkel
`
`messungen während des Hüftsitzes mög
`
`lich waren, war diese Tendenz inner
`
`des Menschen (FVM)
`
`Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
`
`Tennenbacher Straße 4
`
`79106 Freiburg
`
`1) Der Abspreizwinkel der Oberschenkel wird
`
`halb des Untersuchungszeitraums deut
`
`als Winkel zwischen der Medianebene des
`
`lich erkennbar.
`
`Oberkörpers und eines Oberschenkels angege
`
`ben (= Abduktionswinkel), d.h. als halber
`
`Winkel zwischen den beiden Oberschenkeln,
`
`entsprechend den Gepflogenheiten in der
`
`medizinischen Literatur.
`
`2) Die Schamfuge des Beckens ist angehoben
`
`(sie bewegt sich hierbei um einen gedachten
`
`Drehpunkt im Kreuzbeinwirbelbereich nach
`
`oben).
`
`66
`
`notabene medici 2, 1997
`
`Petitioner Ex. 1072 Page 6
`
`
`
`Übersichtsarbeit
`
`Die Grundbedürfnisse des Säuglings und
`
`deren medizinische Aspekte
`
`- dargestellt und charakterisiert am Jungentypus Tragling -
`
`(Teil 2)
`
`Evelin Kirkilionis
`
`Freiburg
`
`4. Der menschliche Säugling
`
`- ein aktiver Tragling
`
`Nach diesen Beobachtungen ist der Sitz
`
`auf der Hüfte für den Säugling keines
`
`wegs ein passives Geschehen. Er betei
`
`ligt sich am Hüftsitz aktiv, einmal durch
`
`der Oberschenkel. Der Abspreizwinkel
`
`die Spreiz-Anhock-Reaktion, durch die
`
`er den Sitz auf der Hüfte vorbereitet,
`
`der kindlichen Oberschenkel, gemessen
`im Laufe des ersten Lebensjahres, lag
`
`zum anderen durch Anklammern mit
`
`zwischen 36° und 58°, im Durchschnitt
`
`den gesamten Beinen am Körper des
`
`bei 45°.
`
`Tragenden, wodurch der Sitz selbst sta
`
`In einer Untersuchung an Neugebore
`
`bilisiert wird. Bei heftigen oder uner
`
`nen ermittelte Büschelberger (1961) eine
`
`warteten Bewegungen preßt der Säug
`
`Spreizstellung der Oberschenkel von
`
`ling verstärkt die Beine an, längeres ru
`
`higes Stehen des Erwachsenen veran
`
`40°, verbunden mit einer Hockstellung
`von 100°", als die Haltung, bei der im
`
`laßt ihn andererseits gegebenenfalls, die
`
`Falle eines gesunden Hüftgelenks die
`
`gene, den kindlichen Bedürfnissen an
`gepaßte Weise.
`
`Noch weitere anatomische Eigenschaf
`
`ten des Säuglings bieten günstige Vor
`
`aussetzungen für den Hüftsitz. Wie an
`
`fangs bereits beschrieben, ist die S-
`förmige Wirbelsäule mit ihrem ausge
`
`prägten Promontorium für den erwach
`
`senen Menschen charakteristisch, die
`indirekt ein aufrechtes Gehen und kräf
`
`tiges Ausschreiten erlaubt. Die Wirbel
`
`säule des Säuglings hingegen ist fast
`
`gerade, eher kyphotisch. Das Neugebo
`
`rene besitzt einen leicht gerundeten Rük-
`ken mit einem Promontoriumswin-
`kel5' von 20°, bei Erwachsenen beträgt
`der Winkel 60° (bei Schimpansen 35°).
`
`Oberschenkel abzusenken und Halt le
`diglich durch das Übertragen des Ei
`gengewichts auf die mütterliche Hüfte
`
`und die Unterstützung durch die Mutter
`
`lastet der Oberschenkelkopf gleichmä
`
`selbst zu finden.
`
`Anatomische Anpassungen
`
`ßig die Hüftpfanne. Bei prophylakti
`
`indirekt aus: Liegt ein Säugling auf dem
`
`schen oder therapeutischen Maßnahmen
`
`Rücken, kann er die Oberschenkel nicht
`
`Schenkelhalsachse lotrecht auf die Pfan
`
`Der Bewegungsspielraum der Oberschen
`
`neneingangsebene trifft. D. h. bei einer
`
`kel ist demnach bei Säuglingen auf den
`
`derartigen Beinhaltung umfaßt und be
`
`Bereich vor dem Rumpf beschränkt. Der
`Begriff der Streckhemmung drückt dies
`
`an den Hüftsitz
`
`Der menschliche Säugling ist ein akti
`
`im Falle einer Hüftdysplasie oder -luxa-
`tion4' entspricht die Einstellung der kind
`lichen Oberschenkel annähernd diesen
`
`ver Tragling, wenn auch im Vergleich
`
`zu den anderen Primaten auf eine ganz
`
`Werten. Der Abspreizwinkel wird in den
`verschiedenen Literaturstellen mit 30°
`
`spezielle, weniger auffällige Weise, be
`
`bis maximal 60° bei einer Hockstellung
`
`gerade auf die Unterlage ablegen. Zwingt
`
`man ihn dennoch dazu, muß er mit Hilfe
`einer veränderten Beckenstellung aus
`weichen. Er kippt die gesamte Hüfte
`
`nach vorn/unten, und muß hierzu einen
`
`unphysiologischen Hohlrücken einneh
`
`dingt durch die im Laufe der Evolution
`
`von 90° bis 110° angegeben (zusam
`
`men.
`
`entstandenen anatomischen Besonder
`
`mengefaßt bei Tönnis, 1984, 1986).
`
`heiten des Menschen. Aber nicht nur
`
`Diese Angaben entsprechen der Haltung
`
`mittels seiner Verhaltensweisen zeich
`
`net sich der menschliche Säugling als
`
`der Oberschenkel, während das Kind
`auf der Hüfte eines Erwachsenen sitzt.
`
`Tragling aus. Er ist auch durch anato
`
`Der Abspreizwinkel liegt, wie im letz
`
`mische und physiologische Eigenarten
`
`ten Abschnitt erläutert, durchschnittli
`
`an den Traglingstypus angepaßt, wie die
`
`che bei 45°, die Oberschenkel sind meist
`
`bereits beschriebenen Beobachtungen
`
`90° oder stärker im Hüftgelenk gebeugt.
`
`zeigen. Er kann sich aber nur mit Hilfe
`
`Der menschliche Säugling zieht dem
`
`der Spreiz-Anhock-Haltung am Getragen
`
`nach die Beine während des Hüftsitzes
`
`werden beteiligen, wenn er auf der Hüf
`
`zu einer Haltung an, an die er durch
`
`te getragen wird.
`
`seine anatomischen Gegebenheiten an
`
`Diese besondere Anpassung an den seit
`
`gepaßt ist. Er erfüllt dabei die therapeu
`
`lichen Sitz belegen die während des
`
`tischen Erfordernisse bei einer Hüftdys
`
`Hüftsitzes gemessenen Abspreizwinkel
`
`plasie oder -luxation auf eine ungezwun
`
`Die anatomische Ausstattung des Säug
`
`lings ist keineswegs für ein aufrechtes
`Laufen geeignet. Der Bewegungsspiel
`
`raum der Beine liegt vor dem Körper;
`
`dies ist eine an den Traglingsstatus an
`gepaßte Orientierung, die Beine sind
`
`3) Der Anhockwinkel ist bei gestrecktem Bein 0°
`
`und nimmt bei Anziehen der Oberschenkel zu.
`
`4) Hüftdysplasie - unzureichend oder zu flach
`
`ausgebildete Hüftpfanne; tritt der Oberschenkel
`kopf aus der Pfanne, spricht man von Hüftluxa-
`tion.
`
`5) Promontoriumswinkel - Winkel zwischen
`
`der verlängerten Linie durch die Lendenwirbel
`
`und der Linie durch die Kreuzbeinwirbel.
`
`notabene medici 3, 1997
`
`117
`
`Petitioner Ex. 1072 Page 7
`
`
`
`Die Grundbedürfnisse des Säuglings und deren medizinische Aspekte (Teil 2)
`
`jedoch in einer für das Anklammern an
`
`Kinder in angehockter und gespreizter
`
`würden, so werden sie doch durch die
`
`den Körper des Tragenden günstigen
`
`Beinstellung tragen, ist diese Krankheit
`
`folgende Beobachtung Naguras bestä
`
`Ausgangsstellung.
`
`so gut wie unbekannt (siehe umfassend
`
`tigt. Aufgrund dieser Beobachtungen
`
`Der menschliche Säugling zeigt noch
`
`hierzu Au, 1969, Palmen, 1961, 1984).
`
`und infolge zu geringer Kapazität sei
`
`einige weitere Anpassungen an das Ge
`
`tragenwerden im Hüftsitz, nur erwähnt
`
`werden soll der Kniegelenkbereich, der
`
`eine Beugestellung begünstigt, oder die
`
`5. Das Tragen des Säuglings
`
`unter dem Gesichtspunkt der
`
`Unterschenkelkrümmung. In diesem Zu
`
`Prophylaxe und Therapie bei
`
`sammenhang nochmals erwähnenswert
`
`ist die bereits beschriebene Fähigkeit
`
`Hüftdysplasie
`
`nes Krankenhauses behandelte Nagura
`(1940) neun Kinder mit luxierten Hüf
`
`ten nicht, wie zu dieser Zeit im europäi
`
`schen Räume üblich, stationär und durch
`Reposition des Oberschenkelkopfes. Er
`
`beauftragte statt dessen die Eltern, ihre
`
`Kinder der japanischen Tradition ge
`
`der Säuglinge, teilweise lang andauernd
`
`Untersuchungen in verschiedenen Volks
`
`mäß zu tragen. Er erreichte so bei den 9
`
`die Spreiz-Anhock-Haltung beizubehal
`
`gruppen, die auch die Betreuungsmetho
`
`Kindern eine erfolgreiche Behandlung
`
`ten. Sie kann sogar gegen einen Wider
`
`stand beibehalten werden. Dies erfordert
`
`den von Säuglingen berücksichtigten,
`wiesen einen auffälligen Zusammenhang
`
`von luxierten Hüften ohne vorangegan
`
`gene Repositionen.
`
`besondere physiologische Anpassungen.
`
`zwischen dem Auftreten von Hüftdys
`
`Anatomische, physiologische
`
`Eigenschaften und Verhaltensweisen
`
`des Säuglings - eigenständige
`Anpassungen an eine eigene Entwick
`lungsphase
`
`plasien oder -luxationen und der Art
`
`des Kindertransportes nach (Au, 1969;
`
`Die Ausführungen Naguras weisen nicht
`nur auf eine vorbeugende Wirkung des
`Tragens bezüglich der Hüftdysplasie
`
`Palmen, 1961, 1984). In Kulturen, die
`
`hin, sondern machen auch eine thera
`
`bei ihren Kindern eine gestreckte Bein
`
`peutische Wirkung bei bereits ausgebil
`
`haltung forcierten und diesen während
`
`deter Dysplasie oder sogar Luxation
`
`ihrer ersten Entwicklungszeit wenig
`
`wahrscheinlich.
`
`Durch seine anatomischen und physio
`
`Bewegungsmöglichkeiten zugestanden,
`
`Wieso fand das Tragen nach den Unter
`
`logischen Eigenschaften bzw. sein Ver
`
`traten Dysplasie oder Luxation gehäuft
`
`suchungen Naguras (1940) und den be
`
`halten ist der Säugling an die besonde
`
`auf. Bei den auf ein Trage- oder Wickel
`
`kannten kulturvergleichenden Betrach
`
`ren Bedingungen während dieser Ent
`
`brett gebundenen Säuglingen nordkana
`
`tungen im europäischen Raum keine all
`
`wicklungsphase speziell und funktionell
`
`angepaßt, und zwar an die besondere
`Situation des Traglings. Die Säuglings
`
`discher Indianerstämme lag beispiels
`weise die Häufigkeit der Dysplasie bei
`
`gemeine Beachtung als therapeutische
`Maßnahme, obwohl von verschiedenen
`
`12,3 %, bei Gruppen, die kein Wickel
`
`Autoren (z. B. Büschelberger, 1976,1981)
`
`brett mehr verwendet hatten, sank der
`
`zeit ist nicht einfach nur ein kleiner Aus
`
`schnitt aus einer mehr oder weniger
`
`Prozentsatz auf 1,2 (Salter, 1968). Bei
`
`mehrfach gefordert?
`Therapeutische und vorbeugende Maß
`
`gradlinigen Entwicklung, die bei den
`
`Kulturkreisen hingegen, die ihre Kin
`
`nahmen im Falle einer Dysplasie soll
`
`„primitiven Eigenschaften" des Em
`
`der vornehmlich in angehockter und
`
`ten möglichst bald nach Erkennen die
`
`bryos beginnt und schließlich mit den
`
`gespreizter Beinhaltung trugen und ih
`
`ser Fehlentwicklung beginnen, da eine
`
`anatomischen und physiologischen Eigen
`schaften des Erwachsenen endet, die an
`
`nen viel Bewegungsfreiheit gewährten,
`
`wie es in großen Teilen des asiatischen
`
`die bipede Lebensweise angepaßt sind.
`
`oder afrikanischen Raumes üblich ist,
`
`Während unserer kulturellen Entwick
`
`waren diese Fehlentwicklungen der Hüfte
`
`Korrektur am erfolgversprechendsten
`und schnellsten ist, wenn sie zum frühest
`
`möglichen Zeitpunkt einsetzt. Da heute
`das Erkennen eines gefährdeten Hüft
`
`lung haben wir die Umweltbedingun
`gen für den Säugling verändert. Der
`
`Säugling selbst konnte nach der Anpas
`
`nahezu unbekannt (Engel, 1936; Jane-
`
`gelenks durch Ultraschall frühzeitig mög
`
`cek. 1956).
`Nagura (1940) wies auf den Zusammen
`
`lich ist, wird eine therapeutische Be
`
`handlung oft im Alter von wenigen Wo
`
`sung an die besonderen Traglingssitu-
`
`hang zwischen der Betreuungsmethode
`
`chen angeordnet. Als Prophylaxe oder
`
`ation - die Millionen von Jahre dauerte
`
`und der Dysplasie an der sich ändern
`
`Therapie sollte daher das Tragen bereits
`
`- in der kurzen Zeit nicht Schritt halten
`
`den Häufigkeit in der japanischen Be
`
`innerhalb der ersten Lebenswochen be
`
`mit diesen kulturell bedingten Verände
`
`völkerung hin. Bedingt durch den tradi
`
`ginnen und täglich längerfristig durch
`
`rungen.
`
`tionellen Umgang, bei dem die Kinder
`
`Wird der Traglingsstatus nicht berück
`
`fast ständig in gespreizter und an
`
`Unterstützung mit Tragehilfen möglich
`sein. Dieser zeitliche Aspekt dürfte der
`
`sichtigt, bleiben die für den Säugling
`
`gehockter Beinhaltung getragen wurden,
`
`hauptsächliche Grund für die geringe
`
`angstauslösenden Situationen dem Er
`
`diagnostizierte man bis zur Jahrhundert
`
`Resonanz auf die beschriebenen Er
`
`wachsenen vielfach unverständlich (Kir-
`
`wende kaum Luxationen. Als man zu
`
`kenntnisse gewesen sein. Denn unter
`
`kilionis. 1995). Die Vernachlässigung
`
`Beginn dieses Jahrhunderts allmählich
`
`der eigenständigen, für diese Entwick
`
`die Betreuung der Säuglinge den euro
`
`lungsphase besonderen Anforderungen
`
`päischen Gepflogenheiten anglich, wur
`
`können zudem Fehlentwicklungen Vor
`
`den auch in Japan derartige Erkrankun
`
`schub leisten, wie beispielsweise im
`
`gen immer häufiger. Auch wenn diese
`
`Falle der relativ häufig auftretenden
`
`Aussagen sicherlich nicht den heutigen
`
`Kinderärzten, Orthopäden bzw. Kranken
`gymnasten ist folgende Ansicht weit
`verbreitet, wie auch in einer kleinen,
`
`nicht repräsentativen Umfrage unter Frei
`burger Ärzten bestätigt wurde:
`- ein frühzeitiges Tragen von Säuglin
`
`Hüftdysplasie. In Kulturkreisen, die ihre
`
`statistischen Anforderungen genügen
`
`gen in aufrechter Körperhaltung füh-
`
`118
`
`noiabene medici 3, 1997
`
`Petitioner Ex. 1072 Page 8
`
`
`
`Die Grundbedürfnisse des Säuglings und deren medizinische Aspekte (Teil 2)
`
`re zu Wirbelsäulenschäden. Es wer
`
`stellt: